Informationen zur Rechtspsychologie

Aktuelle Informationen 13.6.2008 auch hier: Buch

Zur Zeit sind folgende Dokumente zum download bereit:

Sexuelle Kontakte zwischen Jugendlichen werden nicht kriminalisiert (10.12.07)

Mediation im zwischenstaatlichen Verkehr neu geregelt für Zivil- und Handelsrecht (9.11.07)

JGG erweiterte Rechte für jugendliche Strafgefangene

Jugendstrafrecht verschärft:18.7.07 :

neue Rechtswege im Jugendstrafrecht (10.8.07)

elektronischer briefkasten (18.3.05).
gefährdete Kinder /Familiengericht 11.7.2007
Vaterschaft 11.7.2007

bdppresse0103sexstrafen.txt
SexualstrafR.pdf
IMSI-Catcher-Einsatz - eventuell gesetzl
perspektiven der psychologie.pdf 1
Rohleder_kommentarzumSexstrafrechtsände
STAATeuropkirechte.
stellungnBGH_fbg.pdf
Zeugenschutz.rtf

18.7.2007:

Berlin, 18. Juli 2007


Kabinett: Künftig auch nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen

Nachträgliche Sicherungsverwahrung soll künftig auch bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten verhängt werden können. Das Bundeskabinett hat heute auf Vorschlag der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes beschlossen.

„Sicherungsverwahrung ist eine der schärfsten Sanktionen, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter in Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll verbüßt hat. Vor diesem Hintergrund darf die Sicherungsverwahrung immer nur ultima ratio sein, also nur angewendet werden, wenn es kein anderes Mittel gibt, um die Allgemeinheit zu schützen. Das gilt umso mehr bei jungen Menschen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen und ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode während ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später ein gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, die die Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen.

Allerdings gibt es – wenn auch nur sehr wenige - junge Täter, die nach einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen. Mit entsprechendem Gefährdungspotential können solche Extremfälle eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschieden, für solche Fälle einen Regelungsvorschlag zu unterbreiten“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Berlin.

Bislang ist Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht – anders als im Erwachsenenstrafrecht – nicht möglich.

Der heute beschlossene Gesetzentwurf ändert dies. Künftig wird eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – also am Ende einer verbüßten Haftstrafe - bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht möglich sein.

Der Regierungsentwurf sieht die Möglichkeit einer solchen gerichtlichen Anordnung vor,

Beschränkung auf nachträgliche Sicherungsverwahrung

Bei jungen Menschen, die über eine kürzere Lebensgeschichte verfügen und deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ist eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nur sehr schwierig zu treffen. Das Fehlerrisiko ist bei Ihnen besonders hoch.

Deshalb beschränkt sich der Regelungsvorschlag der Bundesregierung auf die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (anders bei Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht: dort kann im Strafurteil selbst unmittelbar die Sicherungsverwahrung angeordnet oder ein Vorbehalt aufgenommen werden, der eine Anordnung am Haftende ermöglicht). Wegen der besonderen Entwicklungssituation und der Aussichten für eine positive Einwirkung im Vollzug der Jugendstrafe soll bei jungen Menschen über die Anordnung der Sicherungsverwahrung immer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung am Ende des Strafvollzugs entschieden werden können, auch wenn wesentliche Anzeichen für eine künftige Gefährlichkeit bereits anfänglich erkennbar waren.

Zum anderen ist das erhöhte Prognoserisiko Grund dafür, die „formalen“ Anordnungsvoraussetzungen enger zu fassen als bei Erwachsenen.

Beispielsfälle

Beispielfall 1: Ein 18-Jähriger quält und vergewaltigt eine junge Bekannte, die er unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt hat. Um die Tat zu verdecken, tötet er sein Opfer anschließend. Nach Aufdeckung des Geschehens wird er zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Im Vollzug zeigt er sich wiederholt aggressiv gegenüber Mitgefangenen und Anstaltspersonal. Ein Therapieversuch wird von ihm nach kurzer Zeit abgebrochen; später verweigert er jede Mitwirkung an Therapiemaßnahmen. Auch nach mehreren Jahren im Jugendstrafvollzug hält das Gericht eine Aussetzung des Strafrests nicht für verantwortbar. Nach Vollverbüßung seiner Jugendstrafe steht der inzwischen 29-Jährige zur Entlassung an. Anstaltspsychologin und Anstaltsleitung halten ihn nach wie vor für hochgefährlich.

Nach dem Vorschlag der Bundesregierung kann das Gericht künftig in einem solchen Fall nachträglich die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn es vor Ende des Strafvollzugs und nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten aufgrund einer Gesamtwürdigung davon ausgeht, dass von dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere schwere Straftaten der beschriebenen Art zu erwarten wären. Das gilt auch, wenn im Beispielsfall zu der Vergewaltigung nicht auch noch ein Mord hinzugekommen wäre.

Beispielfall 2: Ein 16-jähriger hat einen siebenjährigen Junge sadistisch gefoltert, sexuell missbraucht und schließlich getötet. Der Täter hat 8 Jahre Jugendstrafe voll verbüßt und steht kurz vor der Entlassung. Im Vollzug verhielt sich der Betroffene völlig unauffällig. An einer Therapie nahm er bis zu deren Abschluss teil. Eine Strafrestaussetzung zur Bewährung erfolgte jedoch nicht, weil der Therapeut und ein Gutachter zu der Ansicht kamen, dass das konstruktive Vollzugsverhalten nur eine äußerliche Anpassung des hoch intelligenten jungen Gefangenen darstellte, um seine Freilassung nicht zu gefährden.

Bei der Frage, wie nach neuer Rechtslage in einem solchen Fall am Ende der verbüßten Haft verfahren wird, gibt es grundsätzlich verschiedene Optionen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel als eine nachträgliche Sicherungsverwahrung geeignet ist, künftige Straftaten des Täters zu verhüten. In Betracht kommen dabei Maßnahmen der Führungsaufsicht einschließlich gezielter Weisungen und ihrer Überwachung nebst intensiver Nachbetreuung. Das gesetzliche Instrumentarium der Führungsaufsicht hat der Gesetzgeber jüngst verbessert, unter anderem sind seither strafbewehrte Kontaktverbote möglich.

Wenn nach Überzeugung des Gerichts solche Maßnahmen nicht genügen, dann wird nach dem neuen Recht anders als bisher in einem solchen Fall nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich sein. Dabei macht das Beispiel im Vergleich zu Fall 1 deutlich, dass das Vollzugsverhalten nur ein Indikator ist. Entscheidend ist die umfassende Gesamtwürdigung – wenn danach von einer hohen künftigen Gefährlichkeit auszugehen ist, wird das Gericht Sicherungsverwahrung anordnen.

Beispielfall 3: Im Beispielfall 2 hat der Täter seine Jugendstrafe nicht voll verbüßt. Da die hohe Gefährlichkeit nicht erkannt worden war, ist der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden. Während der Bewährungszeit geschieht eine neue Tat.

Hier wird zunächst die Aussetzung zur Bewährung widerrufen und der Vollzug der ursprünglichen Jugendstrafe fortgesetzt werden. Außerdem wird eine neue Jugendstrafe wegen der weiteren Tat verhängt werden. Vor Ende des Vollzugs der Jugendstrafe wird nach dem neuen Recht auch über eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung entschieden werden können.

Verhältnis Sicherungsverwahrung / Unterbringung im Maßregelvollzug (psychiatrisches Krankenhaus)

Beispielfall 4: Im Beispielfall 1 geht das Gericht davon aus, dass dem Verbrechen eine psychotische Störung des jungen Täters zugrunde lag. Dieser wird deshalb wegen Schuldunfähigkeit nicht zu einer Jugendstrafe verurteilt, sondern es wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach mehreren Jahren wird festgestellt, dass eine Psychose nicht oder nicht mehr besteht und die Voraussetzungen für die laufende Unterbringung im sogenannten Maßregelvollzug nicht mehr vorliegen. Gleichwohl wird von einer fortbestehenden hohen Gefährlichkeit für andere ausgegangen.

Nach bisherigem Recht müsste jetzt wegen Erledigung der Maßregel „Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus“ die Entlassung des Betroffenen in die Freiheit erfolgen. Der Entwurf der Bundesregierung eröffnet hier – parallel zu den Möglichkeiten bei Erwachsenen – in solchen Fällen die nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, bevor der Täter aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen wird.

Zuständiges Gericht / Überprüfungsfrist

In Fällen, in denen später die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht möglich sein könnte, wird künftig generell die Jugendkammer bereits als erkennendes Gericht des ersten Rechtszugs für das Urteil über die Tat zuständig sein. Außerdem wird bei nachträglicher Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht die Fortdauer jedes Jahr erneut überprüft (anders im allgemeinen Strafrecht, in dem dafür eine Zwei-Jahres-Frist gilt).

Hinweis:
Bei den Fallbeispielen handelt es sich um fiktive Fälle. Die meisten in den letzten Jahren bekannt gewordenen einschlägigen Fälle betrafen Erwachsene und Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht.

https://ssl.bmj.de/files/-/2325/RegE_Sicherungsverwahrung%20bei%20Verurteilungen%20nach%20Jugendstrafrecht.pdf 

Aktuell: Berlin, 11. Juli 2007 Besserer Schutz für gefährdete Kinder Familiengerichte sollen künftig im Interesse vernachlässigter oder misshandelter Kinder früher eingreifen können. Das Bundeskabinett hat heute auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypies einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. „Vernachlässigte, misshandelte und verhaltensauffällige Kinder brauchen die Hilfe des Staates. Mit der vorgeschlagenen Neuregelung wollen wir die frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte in den Hilfeprozess fördern und damit den Schutz gefährdeter Kinder verbessern. Nicht zuletzt einige erschütternde Fälle aus jüngerer Zeit zeigen, dass wir frühzeitigere Interventionsmöglichkeiten der Familiengerichte brauchen“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beruht auf den Empfehlungen einer Experten-Arbeitsgruppe, die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im März 2006 eingesetzt hatte. Geprüft wurden Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung, ebenso wie Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, die bereits in jungen Jahren wiederholt straffällig geworden sind. Der Gesetzentwurf setzt die Empfehlungen der Arbeitsgruppe an den Gesetzgeber konsequent um. „Bislang werden die Familiengerichte in der Praxis leider häufig zu spät angerufen, wenn also ´das Kind bereits in den Brunnen gefallen´ ist und das Gericht nur noch mit der Entziehung der elterlichen Sorge reagieren kann. Unser Ziel ist es, gefährdete Kinder so früh wie möglich zu schützen und Schlimmeres zu verhindern. Die Neuregelung erlaubt es den Familiengerichten frühzeitiger und stärker auf die Eltern einzuwirken, damit diese öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen, die zur Stärkung ihrer Elternkompetenz notwendig sind. Genauso wichtig für einen effektiven Kindesschutz ist es aber, dass Familiengerichte und Jugendämter konstruktiv zusammenarbeiten. Ungeachtet der verbesserten rechtlichen Möglichkeiten müssen wir flankierend zu einer engeren Zusammenarbeit der Träger der öffentlicher Jugendhilfe kommen. Um den Informationsfluss zu verbessern, sollten sie örtliche Arbeitskreise bilden, in denen sich beispielsweise Familienrichter, Jugendamtsmitarbeiter, Polizisten, Jugendrichter und –staatsanwälte regelmäßig an einen Tisch setzen. Es gibt dafür mancherorts Vorbilder, die Nachahmung verdienen. Wir brauchen diese gemeinsame Kraftanstrengung im Interesse unserer Kinder“, machte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries deutlich. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht folgende Änderungen vor: Abbau von „Tatbestandshürden“ für die Anrufung der Familiengerichte Nach dem geltenden Recht setzen Kindesschutzmaßnahmen des Familiengerichts voraus, dass die Eltern durch ein Fehlverhalten – nämlich durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder durch unverschuldetes Versagen – das Wohl des Kindes gefährden und nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 1666 Abs. 1 BGB). Der Gesetzentwurf sieht vor, die Voraussetzung des „elterlichen Erziehungsversagens“ zu streichen, weil es oft schwer zu belegen ist. Entscheidende Tatbestandsvoraussetzungen sind und bleiben die Gefährdung des Kindeswohls sowie die Unwilligkeit oder Unfähigkeit der Eltern, die Gefahr abzuwenden. Die Änderung soll außerdem der Gefahr entgegenwirken, dass Eltern auf Grund des Vorwurfs des „Erziehungsversagens“ nicht mehr kooperieren. Beispiel: Fällt ein Kind durch erhebliche Verhaltensprobleme auf, deren Ursachen nicht eindeutig zu klären sind, und haben die Eltern keinen erzieherischen Einfluss mehr auf ihr Kind, so kann das Merkmal des „elterlichen Erziehungsversagens“ und der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem Erziehungsversagen und der Kindeswohlgefährdung schwer festzustellen und darzulegen sein. Hier schafft die vorgeschlagene gesetzliche Änderung eine sinnvolle Erleichterung. Konkretisierung der möglichen Rechtsfolgen Das Familiengericht hat die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind (§ 1666 Abs. 1 BGB). Diese offene Formulierung bietet den Familiengerichten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Bislang wird die Vielfalt der möglichen Schutzmaßnahmen von den Gerichten nicht in vollem Umfang genutzt. Der Gesetzentwurf sieht deshalb eine Konkretisierung durch beispielhafte Aufzählung vor. Den Familiengerichten und Jugendämtern soll dadurch die ganze Bandbreite möglicher Maßnahmen – auch unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung – verdeutlicht werden. Die Gerichte können die Eltern verpflichten, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, wie etwa Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. Erziehungsberatung, soziale Trainingskurse) und der Gesundheitsfürsorge (z. B. Vorsorgeuntersuchungen). Es kann die Eltern aber auch ganz konkret anweisen, für den regelmäßigen Schulbesuch des Kindes zu sorgen. Beispiel: Die Eltern vernachlässigen ihr 4-jähriges Kind. Es weist gegenüber gleichaltrigen Kindern deutliche Entwicklungsstörungen auf, ist unzureichend ernährt und hat keine sozialen Kontakte. In einem solchen Fall kann das Familiengericht die Eltern anweisen, Erziehungsberatung und einen Kindergartenplatz für ihr Kind anzunehmen. Eine solche gerichtliche Weisung ist mit Zwangsgeld durchsetzbar. Befolgen die Eltern Weisungen nicht, wird das Gericht aber in der Regel auch schärfere Maßnahmen bis hin zu einer Fremdunterbringung des Kindes prüfen. Erörterung der Kindeswohlgefährdung („Erziehungsgespräch“) Mit dem Entwurf soll eine „Erörterung der Kindeswohlgefährdung“ eingeführt werden. Dem Familiengericht wird damit bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens ermöglicht, schon im Vorfeld und unabhängig von Maßnahmen nach § 1666 BGB stärker auf die Eltern einzuwirken, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit dem Jugendamt zu kooperieren. Wesentliches Ziel der Erörterung ist es, die Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Es ist Aufgabe der Gerichte, in diesem Gespräch – regelmäßig unter Beteiligung des Jugendamtes – den Eltern den Ernst der Lage vor Augen zu führen, darauf hinzuwirken, dass sie notwendige Leistungen der Jugendhilfe annehmen und auf mögliche Konsequenzen der Nichtannahme (ggf. Entzug des Sorgerechts) hinzuweisen. Diese Möglichkeit besteht schon nach geltendem Recht, wird aber in der Praxis kaum genutzt. Überprüfung nach Absehen von gerichtlichen Maßnahmen Bislang ist das Familiengericht, das in einem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung keine Maßnahme anordnet, nicht verpflichtet, diese Entscheidung später noch einmal zu überprüfen. Nach der vorgesehenen gesetzlichen Änderung soll das Gericht in angemessenem Zeitabstand überprüfen, ob seine Entscheidung unverändert richtig ist. Damit soll gewährleistet werden, dass das Gericht erneut tätig wird, wenn sich die Kindeswohlsituation nicht den Erwartungen des Gerichts entsprechend verbessert oder sogar verschlechtert. Beispiel: Machen die Eltern vor Gericht die Zusage, mit dem Jugendamt zu kooperieren und hält das Gericht diese Zusage für glaubhaft, kann das Gericht nach geltendem Recht das Verfahren beenden. Verweigern die Eltern jedoch entgegen ihrer Zusage die Kooperation mit dem Jugendamt, erfährt dies das Familiengericht nicht ohne weiteres. Durch den Änderungsvorschlag soll daher im Interesse des Kindes eine nochmalige Befassung des Gerichts mit dem Fall gewährleistet werden. Schnellere Gerichtsverfahren Der Entwurf sieht ein umfassendes Vorrang- und Beschleunigungsgebot vor für Verfahren Gefährdung des Kindeswohls und für Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen. Binnen eines Monats muss das Gericht einen ersten Erörterungstermin ansetzen. In Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht unverzüglich nach Verfahrenseinleitung Eilmaßnahmen zu prüfen. Mehr Rechtssicherheit in Fällen von „geschlossener“ Unterbringung Im Einzelfall kann es als letztes pädagogisches Mittel erforderlich werden, einen Minderjährigen in einem Heim der Kinder- und Jugendhilfe oder in einem psychiatrischen Krankenhaus freiheitsentziehend unterzubringen. Die Entscheidung hierzu können die Eltern – trotz ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts – nicht alleine treffen. Vielmehr bedarf es hierfür nach § 1631b BGB einer gerichtlichen Genehmigung. Über die Anwendung des § 1631b BGB bestehen in der Praxis Unsicherheiten, insbesondere weil er die Voraussetzungen für die gerichtliche Genehmigung nicht ausdrücklich regelt. Der Entwurf stellt klar, dass die freiheitsentziehende Unterbringung zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich sein muss und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu beachten ist. Eine geschlossene Unterbringung ist danach nur erlaubt, wenn der Gefahr für das Kind nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen begegnet werden kann („ultima ratio“). Beispiel: Ein 13-jähriger Junge hat bereits eine große Zahl von Straftaten begangen. Die Eltern sind mit der Erziehung des nicht einsichtigen und sehr aggressiven Jungen überfordert. Aus einem offenen Heim der Jugendhilfe ist der Junge kurze Zeit nach seiner Ankunft weggelaufen. Hier kann eine geschlossene Unterbringung sinnvoll sein, um an den Jungen heranzukommen und mit ihm pädagogisch arbeiten zu können. Zu berücksichtigen ist jedoch stets, dass es heute vielfältige Angebote für straffällige und verhaltensauffällige Kinder gibt, wodurch die Übergänge zwischen geschlossener und offener Unterbringung fließend geworden sind. So kann es ausreichend sein, das Kind in einem Heim unterzubringen, in dem Entweichungen durch eine engmaschige Betreuung oder örtliche Abgeschiedenheit vorgebeugt wird. Dem Gesetzentwurf liegt der Bericht der Expertenarbeitsgruppe zugrunde. In der Arbeitsgruppe waren Experten aus den Familiengerichten, der Kinder- und Jugendhilfe und Vertreter betroffener Verbände versammelt. Sie haben sich in mehreren Sitzungen mit den praktischen Schwierigkeiten im familiengerichtlichen Verfahren bei Kindeswohlgefährdung und im sozialpädagogischen Hilfeprozess auseinandergesetzt und Mängel der derzeitigen Rechtslage untersucht. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe sowie der Regierungsentwurf sind unter www.bmj.bund.de abrufbar. Dokumente RegE_Gefährdung Kindeswohl.pdf  

Berlin, 11. Juli 2007


Kabinett beschließt Gesetz zur Vaterschaftsfeststellung

Die Feststellung, von wem ein Kind abstammt, wird künftig erheblich erleichtert. Einen Regelungsvorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat das Bundeskabinett in seiner heutigen Sitzung beschlossen.

Die Frage, von wem ein Kind abstammt, ist für eine Familie von existentieller Bedeutung. Der rechtliche Vater möchte wissen, ob er auch der biologische Vater ist. Das Kind möchte wissen, von wem es abstammt, und zuweilen möchte auch die Mutter Klarheit schaffen. Dieses Klärungsinteresse, so hat das Bundesverfassungsgericht am 13. Februar 2007 entschieden, ist verfassungsrechtlich geschützt.

„Es kann keine Lösung sein, die Frage der Abstammung mit Hilfe von heimlichen Gen-Tests zu beantworten. Genetische Daten sind die persönlichsten Informationen, die es über einen Menschen gibt. Heimlich die Haare oder den Speichel eines Kindes in einem Labor prüfen zu lassen, stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung klar herausgestellt. Deshalb bieten wir jetzt ein einfaches Verfahren an, das aber sicherstellt, dass die Rechte aller Betroffenen gewahrt bleiben“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Nach geltendem Recht kann die Frage der Abstammung problemlos in einem privaten Gutachten geklärt werden, wenn alle Betroffenen einverstanden sind. Sperrt sich allerdings einer der Betroffenen, bleibt nur die Möglichkeit einer Anfechtungsklage (§§ 1600 ff. BGB), die innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände erhoben werden muss. Im Rahmen eines solchen Verfahrens kann die Abstammung zwar geklärt werden – stellt sich allerdings heraus, dass der rechtliche nicht der biologische Vater ist, wird damit zwangsläufig das rechtliche Band zwischen Vater und Kind zerrissen. Es besteht also bislang keine Möglichkeit, in einem Gerichtsverfahren die Abstammung zu klären, ohne juristische Konsequenzen für die rechtliche Beziehung zwischen Vater und Kind fürchten zu müssen. Mit dem neuen Gesetz soll das Verfahren für alle Beteiligten – also Vater, Mutter und Kind – erleichtert werden.

„Bei allem Interesse daran, die Abstammung zu klären, das Kindeswohl muss stets berücksichtigt werden. Häufig wird ein Kind zutiefst verunsichert sein, wenn es erfährt, dass sein rechtlicher Vater nicht der „echte“ Vater ist. Das Kind muss daher stabil genug sein, um eine solche Information verkraften zu können. Für Fälle, in denen das nicht gewährleistet ist, sieht unser Gesetzentwurf Härteklauseln vor“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Künftig wird es zwei Verfahren geben:

I. Verfahren auf Klärung der Abstammung
II. Anfechtung der Vaterschaft

I. Anspruch auf Klärung der Abstammung (§ 1598a BGB n. F.)

  1. Die neue Regelung sieht vor, dass Vater, Mutter und Kind jeweils gegenüber den anderen beiden Familienangehörigen einen Anspruch auf Klärung der Abstammung haben. Das heißt, die Betroffenen müssen in die genetische Abstammungsuntersuchung einwilligen und die Entnahme der erforderlichen Proben dulden.
  2. Der Anspruch ist im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Auch Fristen sind nicht vorgesehen.
  3. Wird die Einwilligung versagt, kann sie vom Familiengericht ersetzt werden. Um dem Kindeswohl in außergewöhnlichen Fällen (besondere Lebenslagen und Entwicklungsphasen) Rechnung zu tragen, kann das Verfahren ausgesetzt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass der Anspruch nicht ohne Rücksicht auf das minderjährige Kind zu einem ungünstigen Zeitpunkt durchgesetzt werden kann.

Beispiel: Das Kind ist durch eine Magersucht in der Pubertät so belastet, dass das Ergebnis eines Abstammungsgutachtens seinen krankheitsbedingten Zustand gravierend verschlechtern könnte (z.B. akute Suizidgefahr). Geht es dem Kind wieder besser, kann der Betroffene einen Antrag stellen, das Verfahren fortzusetzen.

II. Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1600 ff. BGB n.F.)

1. Das Anfechtungsverfahren ist unabhängig von dem Verfahren zur Durchsetzung des Klärungsanspruchs. Das zweifelnde Familienmitglied hat die Wahl, ob es eines oder beide Verfahren, d.h. zunächst Klärungsverfahren und dann Anfechtungsverfahren, in Anspruch nehmen will.

2. Modifikationen der Anfechtungsfrist

a. Für die Anfechtung der Vaterschaft gilt auch in Zukunft eine Frist von zwei Jahren (§1600b BGB). Die Anfechtungsfrist hat zum Ziel einerseits dem Betroffenen eine ausreichende Überlegungsfrist zu verschaffen, und andererseits die Interessen des Kindes am Erhalt gewachsener familiärer Bindungen zu schützen und nach Fristablauf Rechtssicherheit zu schaffen. Für den Betroffenen bedeutet das: Erfährt er von Umständen, die ihn ernsthaft an seiner Vaterschaft zweifeln lassen, muss er seine Vaterschaft innerhalb von zwei Jahren anfechten. Diese Frist soll gehemmt sein, wenn der Vater ein Verfahren zur Klärung der Abstammung durchführt.

Beispiel: Das Kind wird im Juni 1998 geboren. Der Ehemann (also der rechtliche Vater) erfährt im Juni 2008, dass seine Ehefrau im Herbst 1997 eine außereheliche Affäre hatte. Gemäß § 1600b BGB hat der Ehemann zwei Jahre Zeit, um seine Vaterschaft anzufechten. Die Frist läuft ab Kenntnis der Umstände, die ihn an seiner Vaterschaft zweifeln lassen – also ab Juni 2008. Lässt der Ehemann die Abstammung zunächst gerichtlich klären, wird die Anfechtungsfrist angehalten. Sie läuft erst sechs Monate, nachdem eine rechtskräftige Entscheidung im Klärungsverfahren ergangen ist, weiter. Ergeht also im Dezember 2008 eine rechtskräftige Entscheidung, läuft die Frist ab Juni 2009 wieder bis Juni 2011.

b. Als Folge des neu geschaffenen Klärungsanspruchs sind häufiger als bisher Fälle denkbar, in denen ein Mann aufgrund eines - legal eingeholten - Abstammungsgutachtens sicher weiß, dass er nicht der biologische Vater des Kindes ist, die Anfechtungsfrist aber bereits abgelaufen ist. Um den verschiedenen Interessen der Betroffenen in diesen Konfliktsituationen gerecht zu werden, soll in solchen Fällen ein Neubeginn der Anfechtungsfrist möglich sein. Voraussetzung ist aber, dass die Anfechtung das Wohl des minderjährigen Kindes nicht erheblich beeinträchtigt.

Beispiele:
(1)
Der Mann hat bereits seit mehreren Jahren konkrete Zweifel, biologischer Vater des Kindes zu sein. Um dem Kind ein Aufwachsen in der vertrauten Familie zu ermöglichen und die Beziehung zu seiner Frau nicht zu gefährden, lässt er die Zweifel auf sich beruhen. Die Anfechtungsfrist verstreicht. Die Ehe zerbricht trotzdem und der Kontakt zu dem Kind geht verloren. Durch einen Vaterschaftstest im Rahmen eines Klärungsverfahrens gewinnt der Mann Sicherheit, dass er tatsächlich nicht der biologische Vater ist. In einem solchen Fall soll der Vater trotz Fristablauf anfechten können. Nach Kenntnis von dem Abstammungsgutachten bleibt ihm dafür eine Frist von zwei Jahren.

(2) Die Partnerschaft zerbricht nach Ablauf der Anfechtungsfrist. Zwischen dem Mann und dem Kind besteht aber weiterhin eine enge Beziehung. Als die Frau einen neuen Partner findet, fühlt sich der Mann verletzt und will sich rächen. Zudem möchte er das Geld für den Unterhalt sparen. Er ficht sein Vaterschaft an, ohne sich darum zu kümmern, dass das Kind psychisch labil ist. In einem solchen Fall könnte eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls vorliegen, die eine Anfechtung nach Fristablauf ausschließt.

3. Härteklausel zugunsten des Kindes

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, im Anfechtungsverfahren das Kindeswohl zu wahren. Dies bedeutet darauf zu achten, dass das minderjährige Kind die Anfechtung in der jeweiligen Lebenssituation verkraften kann. In besonderen Härtefällen kann die Anfechtungsmöglichkeit daher zeitweise eingeschränkt werden. Wird die Anfechtungsklage wegen der Härteklausel abgewiesen, ist eine erneute Klage möglich. Die Anfechtungsfrist beginnt in diesem Fall erneut zu laufen.

Beispiel: Das Kind ist sehr krank. Der Verlust des rechtlichen Vaters wäre zusätzlich eine große Belastung. In einem solchen Fall kann die Anfechtungsklage aufgrund der Härteklausel abgewiesen werden. Nach Rechtskraft des Urteils kann der Vater innerhalb von zwei Jahren (§ 1600b BGB) erneut Anfechtungsklage erheben.

Der Gesetzentwurf ist heute vom Kabinett beschlossen worden und wird jetzt in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Ziel ist es, eine Neuregelung bis zum 31. März 2008 in Kraft zu setzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, binnen dieser Frist ein vereinfachtes Verfahren zur Klärung der Abstammung zu schaffen.

Dokumente

RegE_Vaterschaftsfeststellung.pdf